Aufruf zur Veränderung
Marina Weisband fordert in Schwabach: Demokratie aktiv gestalten, Kinder stärken
Schwabach – Marina Weisband fordert in Schwabach: Demokratie aktiv gestalten, Kinder stärken. Was die bekannte Publizistin damit meint, war Thema eines Diskussionsabends in Schwabach.
von Claudia Weinig, Schwabacher Tagblatt, 04.07.2025
Manchmal gleicht das, was Marina Weisband fordert, eher einer Utopie als einem erreichbaren Ziel. Manchmal klingen ihre Vorschläge so einfach, dass man sich fragt: Ja, warum ist das bisher alles nur Theorie? Doch in ihrer Zustandsbeschreibung der Gesellschaft von heute und den Schlüssen, die sie daraus zieht, finden sich die allermeisten wieder, die am Dienstagabend zu einem Open Air-Diskussionsabend mit der streitbaren Publizistin gekommen sind.
Dazu eingeladen hatten das Bildungsbüro der Stadt Schwabach, die Integrations-Stiftung Schwabach und die Bürgerstiftung „Unser Schwabach“ im Rahmen ihrer Reihe „Sommergespräche Demokratie“. Trotz des hochsommerlichen Wetters sind rund 130 Zuhörer/-innen in den Hof von Berufs- und Musikschule gekommen. Das Motto des Abends, den der Chefpublizist der Nürnberger Nachrichten, Alexander Jungkunz moderiert: „Wir sind Gestaltende unserer Zukunft! Demokratie neu denken und leben“.
Trotz hochsommerlicher Temperaturen waren die Zuschauerreihen im Hof der Schwabacher Berufs- und Musikschule (Altes DG) bis in die letzte Reihe besetzt. Interessiert verfolgten die Zuhörer den Ausführungen von Marina Weisband, die NN-Chefpublizist Alexander Jungkunz zur Einführung in die allgemeine Diskussion interviewte. © Claudia Weinig
Am Ende ist es auch die Quintessenz dessen, was die Hauptreferentin des Open Air-Abends mit Nachdruck einfordert. Dabei macht die 37-jährige, die schon seit Jahren ein gern gesehener Gast in Fernsehtalkshows ist, nur auf den ersten Blick den Eindruck einer freundlich-mädchenhaften Gesprächspartnerin. Freundlich – ja. Mädchenhaft im klischeehaften Sinn von „zurückhaltend“ – nein.
Weisband hat klare Vorstellungen, dass und was sich in dieser Gesellschaft ändern muss – als Gegenentwurf zur wachsenden „weltweiten anti-demokratischen Bewegung“, die in einer fatalen Zusammenarbeit mit Tech-Milliardären wie Marc Zuckerberg und Elon Musk „versuchen, Demokratien zu zerstören“. Was dem entgegensteht? Dazu stellt Weisbrand fest: „Unsere Demokratie krankt daran, dass sie nicht demokratisch genug ist.“ Denn „wir werden nicht darauf vorbereitet, demokratischer zu sein.“
Schon in Kitas und Schulen wird laut Weisband Gefühl von Hilflosigkeit „erlernt“
Schon in Kitas und Schulen werde ihrer Ansicht nach der Grundstein gelegt für das, was Weisbrand „erlernte Hilflosigkeit“ nennt. Weil Kinder und Jugendliche dort viel zu viel in starre Raster gepresst würden mit viel zu wenig Beteiligungs- und Einflussmöglichkeiten.
So werde niemals „Selbstwirksamkeit“ erfahren – ein Begriff, den die Diplompsychologin immer wieder nennt. „Wenn ich ein Bewusstsein dafür bekomme, dass ich Dinge verändern kann, dass mein Handeln etwas bewirkt, dann gehe ich mit offenen Augen durch die Welt und versuche, sie mitzugestalten – für mich ist das der Kern von Demokratie“, so Weisbrand. „Dieses Mitgestalten muss man im Alltag erfahren. Und zwar schon in kleinen Dingen – im Verein, in der Kommune und eben auch in Schulen“.
Weisbrand, die rhetorisch versierte Intellektuelle, spricht nicht nur davon, wie sie Demokratieverständnis vermitteln will. Sie hat mit „aula“ (www.aula.de) auch ein eigenes Programm für Schulen entworfen, um „junge Menschen zu unterstützen, mutige Gestalter/-innen ihrer Welt zu sein“. So heißt es auf der Homepage einer Initiative, die Weisbrand mit ihrem Team in mittlerweile 50 Schulen im deutschsprachigen Raum etabliert hat. Das Grundprinzip: Beteiligung.
Eigene Gesprächsrunde mit Schwabacher Schüler/-innen vor öffentlichem Auftritt
Kinder und Jugendliche sind es auch, die bei Weisbands Besuch in Schwabach im Mittelpunkt stehen. Vor dem eigentlichen öffentlichen Auftritt ist die eloquente gebürtige Ukrainerin zu Gast in einer geschlossenen Diskussionsrunde mit Schülerinnen und Schülern von Adam-Kraft-Gymnasium, FOS und Johannes-Kern-Mittelschule.
Wenig später erklärt sie auch warum: „Es wird viel zu viel über und viel zu wenig mit den Kindern und Jugendlichen gesprochen. Politik orientiert sich aktuell an den Alten. Was sie wiederum für die Jugend uninteressant macht. Weil sie das Gefühl haben, das alles, also auch die Demokratie, geht sie sowieso nichts an.“
Gelebte Partizipation. Wie sieht sie aus? Weisband nennt Beispiele; erzählt von Kindern, die schon im Kindergarten darüber diskutieren und bestimmen, wie sie selbst den Morgenkreis ruhiger gestalten können; wie Grundschüler es schaffen, dass sie keine Kaugummis ihrer Klassenkameraden mehr unter der eigenen Bank geklebt finden; wie Ältere über Projektwochen befinden und den Umgang mit dem Handy in der Schule selbst reglementieren.
So werde die laut Weisband für Demokratie so wichtige positive Selbstwirksamkeit erlernt und der Wille zur Mitgestaltung geweckt – statt sich als stumme Mehrheit von simpel gestrickten Parolen, die zwar laut sind, aber keine Antworten auf drängende Fragen geben können, einfangen zu lassen. Diese Argumentationskette ist an diesem Abend immer wieder zu hören.
Interview auf dem Podium mit NN-Chefpublizist Alexander Jungkunz
Anfangs von NN-Chefpublizist Alexander Jungkunz, anschließend von (gut vorbereiteten) Schüler/-innen und schließlich aus dem Publikum heraus, wird Weisband mit weiteren Fragen zum Thema konfrontiert. Wobei die eigentliche Konfrontation ist, dass die Wirklichkeit vielerorts derzeit anders aussieht als diejenige, die Beteiligungspädagogin Weisband propagiert.
Angesprochen auf das bayerische Schulsystem und dessen Veränderungspotenzial hat Weisband die (ironischen) Lacher auf ihrer Seite: „Wie ich das bayerische Schulsystem verändern kann, erzähle ich ihnen kurz nachdem ich den Nahost-Konflikt gelöst habe.“
Soziale Medien sollten nicht gewinnorientiert von Tech-Mogulen angeboten werden können
Es war nur ein kurzer populistischer Ausflug der „aula“-Gründerin. Auf konkrete Fragen gibt es auch konkrete Antworten. Beispielsweise, was sie von einem Handyverbot an Schulen halte. „Nichts – weil wir Kinder und Jugendlichen auf dem Schlachtfeld eines Mark Zuckerberg oder eines Elon Musk sich selbst überlassen dürfen.“
Gleichwohl plädierte Weisband energisch dafür, eigene soziale Netzwerke ohne Profitorientierung aus der Gesellschaft heraus und für die Gesellschaft zu entwickeln; ähnlich, wie dies „Mastodon“ bereits tue.
Wahlrecht mit 16 – „unbedingt. Weil wir jungen Menschen noch viel mehr eine Stimme geben müssen. Sie haben keine Lobby.“
Einfach mal machen, statt zaudern. Die Initiative ergreifen statt abzuwarten und zu konsumieren. Verantwortung abgeben und sie dafür jungen Leuten zutrauen. Kurz: Gestalten statt in Lethargie erstarren. Das ist das Credo, das Weisband ihrem Publikum mit auf den Weg gibt. Und dass man „dafür bei den ganz kleinen Dingen gut anfangen kann. Man muss es nur wollen.“
Stark in Meinungsbildung
Marina Weisband, geboren 1987 in der Ukraine, ist Diplompsychologin und Expertin für digitale Partizipation und Bildung. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, wo sie für die Meinungsbildung innerhalb der Partei und für die Repräsentation nach außen zuständig war.
Heute engagiert sie sich bei den Grünen in den Themenbereichen Digitalisierung und Bildung. In ihrem Buch „Wir nennen es Politik“ (2013 erschienen im Tropen-Verlag) schildert sie für Politik-Neueinsteiger die Möglichkeiten neuer demokratischer Formen durch Nutzung des Internets.
Seit 2014 leitet sie bei politik-digital e.V. das Projekt aula – ein Konzept zur politischen Bildung und demokratischen Beteiligung von Jugendlichen an den Regeln und Angelegenheiten ihrer Schulen und außerschulischen Organisationen (www.aula.de)

